Mit dem Nachtzug nach Berlin

Zufälliges Aufeinandertreffen Unbekannter; fremde Schicksale, die unverhofft das eigene Dasein beeinflussen; flüchtige Bekanntschaften, die in heftig aufflammende, selten befriedigte Begierde münden; Geschichten des Zufalls; tragische Begegnungen; komische Situationen. All das lässt sich nirgendwo glaubwürdiger, bestechender und farbiger imaginieren und inszenieren als an Bord eines Zuges, der durch die Nacht ins Ungewisse rast. Ein Ort, den man nicht festhalten kann, ist ein Ort, an dem auch die Gewissheiten, Konventionen und scheinbar unverrückbaren Grenzen des gewöhnlichen Lebens zu wanken beginnen.

Dies schrieb Alain Claude Stutzer in der NZZ im Januar vor zwei Jahren über das Reisen in Nachtzügen.
Dem Text nach muss es eine wunderbare Form des Reisens sein. Meine letzte Nachtzugerfahrung liegt bereits einige Jahre zurück, damals ging es von Berlin nach Stockholm im Rahmen eines Interrail-Abenteuers. Heute 5 Jahre später fahre ich mit dem Nachtzug von Basel nach Berlin. Kostenpunkt: 29 Euro für einen Sitz in einem Sechserabteil.

Mit dem Tram geht es an den Badischen Bahnhof, bald fährt der Zug ein und ich beziehe mein Abteil. Mit einem jungen Mann teile ich sechs Plätze. Ob er Schweizerdeutsch spricht? Die Kappe sitzt ihm tief im Gesicht, geredet wird nicht. Ich packe um, höre etwas Musik und versuche, es mir einigermassen bequem zu machen. Nach einer halben Stunde bricht das Eis, ein Gespräch beginnt. Er kommt aus Dresden, arbeitet als Koch und sucht eine neue Stelle. Gerne möchte er in Zermatt eine Saison oder auch mehr Arbeiten, ist sich aber unsicher ob ihm der Betrieb wirklich gefällt. Er fährt mit dem Nachtzug nach Braunschweig und danach weiter nach Dresden. Es ist der Rückweg nach dem Vorstellungsgespräch in Zermatt.
Irgendwann legen wir uns quer über drei Sitze und versuchen zu schlafen, mittlerweile sind wir schon fast in Offenburg.
Als ich das nächste mal aus dem Fenster schaue sind wir in Karlsruhe, ich schlafe wieder etwas ein. Warum ist eigentlich diese Lüftung derart laut? Und warum wollte noch niemand mein Ticket sehen? Blick aus dem Fenster, Mannheim. Es ist schon fast Mitternacht, auf dem Perron stehen viele Leute, der Zug wartet offenbar auf einen Anschluss, ich schlafe wieder.
Kurz vor fünf Uhr am Morgen erwache ich, Braunschweig. Mein Abteilskumpane verlässt den Zug, wir wünschen uns alles Gute und ich breite mich nun im ganzen Abteil aus.
Nach zwei Stunden Tiefschlaf ist es draussen bereits hell und Podsdam vor Berlin ist nicht mehr weit. Ich denke an meinen Kollegen. Ob er den nächsten Zug erwischt hat? Und ob er seine Stelle in Zermatt wohl bekommt?
Dann geht es sehr schnell und der Zug hält beim Hauptbahnhof in Berlin. Beim Aussteigen merke ich, dass ich doch etwas müde und verspannt bin. Trotzdem war die Reise eine schöne Erfahrung.

Und mein Ticket? Hat niemand kontrolliert.


Kommentare

Eine Antwort zu „Mit dem Nachtzug nach Berlin“

  1. […] Die Fahrt mit dem Nachtzug, ein schöner Morgen im Prenzlauer Berg und eine Schicht als Helfer beim Aufbau der re:publica waren mein Vorprogramm. Helfer sein lohnt sich sehr, einerseits spart man sich den Eintritt für die Konferenz und man lernt einen Teil des wirklich tollen re:publica-Teams kennen. […]

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